blob

Unser gemeinsamer Ausgangspunkt im Strukturlos-Projekt war ja die Behauptung, dass die von der Möbelindustrie angebotenen Produkte nicht mehr unserem heutigen Lebensgefühl entsprechen. In diesem Zusammenhang ist der Sitzsack »Sacco« eine der immernoch wenigen Ausnahmen. Vor allem der Verzicht auf jegliche feste Struktur macht ihn zu einem äußert variablen, flexiblen und leichten Möbel, das wohl eher in unsere schnelllebige, dynamische Welt passt als unbewegliche, klobige Sofa- und Sessellandschaften. So ist der »Sacco« ein Möbel im wahrsten Sinne des Wortes. Im »Liebesstellungen-Atlas für zu Hause« findet man unter der Überschrift »Spreizstellung im Knautschsessel« folgende Verwendungsmöglichkeit für den Sitzsack:

» In vielen Wohnungen findet man solche lederbezogenen Knautschsessel, die vor noch gar nicht so langer Zeit einmal große Mode waren. Sie wurden als besonders bequem empfunden, da sie sich jeder Position durch ihre lockere Füllung anpassen. So ist es auch nicht gerade verwunderlich, daß sich diese Knautschsessel auch sehr bald als ausgezeichnete ****unterlage großer Beliebtheit erfreuten. Eingebettet wie in einem Nest befindet sich der Frauenkörper unter einem stets in der richtigen ****position.«

Ich persönlich fand besonders bemerkenswert wie sich beim Besetzen eines aufrecht gestellten »Sacco« so eine kleine Rückenlehne herausbildet, die ihre Stabilität einzig und allein durch den Druck der Kugeln gegen den Stoff erhält. Daraufhin waren verschiedene Druckphänomene auch mein erster Arbeitsansatz. Vor allem faszinierte mich das Prinzip der Vakuumverpackung, wie es jeder vom Kaffee her kennt. Mit verschiedenen Füllstoffen und Pumpen versuchte ich möglichst hohe Festigkeit zu erreichen, und es entstand dabei eine Art Tennis- oder Federballschläger, der aber im Vergleich zu etablierten Konkurrenzprodukten keine nennenswerten Vorteile aufweist. Bei der Ausarbeitung meines Referates zum Thema »Rückenschule des Sitzens«, das ich im »Sitzen«-Seminar hielt, wurde ich mit den Anforderungen konfrontiert, die aus ergonomischer Sicht auch an ein Wohnmöbel gestellt werden. Z. B. sollte der Körper an allen wichtigen Punkten (Lendenwirbel, Schulter etc.) Unterstützung erhalten, andererseits aber keinesfalls in einer bestimmten Sitzposition fixiert werden.

So ist nach KEMPF der häufige Wechsel zwischen verschiedenen Sitzhaltungen die wichtigste Vorraussetzung für gesundes Sitzen. Der Ausspruch von B. Rudolfsky: »Statt tausend Sitzpositionen haben wir tausend verschiedene Sesselformen« weckte schließlich den Ehrgeiz in mir, solch ein Möbel für tausenderlei Sitzpositionen zu erfinden. Von Anfang an war mir klar, dass dieses Möbelstück mehreren Menschen gleichzeitig Platz bieten muss, da ich beim Schlagwort Sitzposition immer auch an die Haltung zu jemanden und nicht nur auf etwas denke. Ich bin daher der Meinung, dass bewegtes Sitzen nicht nur gut für den Rücken ist, sondern auch die menschliche Interaktion belebt. Nun konkret zu meinem Entwurf: An einem der ersten Papiermodelle entdeckte ich die vielfältigen Möglichkeiten, die eine einfache rechteckige Liegefläche bieten kann, wenn sie in vertikaler Richtung beweglich ist. So kann an jeder beliebigen Stelle eine Lehne entstehen, sogar über Eck und gegenüberliegend. Ich war sofort davon begeistert und verwarf meine anderen Ideen um sogleich an der Umsetzung dieses Modells arbeiten zu können.

 

Die mit kleinen Styropor-Kugeln gefüllte Folientüte kann per Hand in jede beliebige Form gebracht werden und die Luftpumpe dient gleich noch als Griff, nachdem man damit die Luft herausgesaugt hat. Natürlich handelt es sich dabei um eine ganz spezielle Pumpe, die ich extra darauf dressiert habe.

(c) Kölner Express, Fotograph anonym

Unser bester Freund, der Hund, praktiziert von Natur aus bewegtes Sitzen und lässt sich von keinem Sofa ungesunde Sitzhaltungen vorschreiben.


THE BLOB FAMILY AT HOME.
In der Sprechblase liest man: »Jehovah´s Witnesses! Jehovah´s Witnesses! ... Everyone act like bean bag chairs.«

 

Die Eigenschaften des Papiers eventuell durch starkes Leder auf die Originalgröße zu übertragen, kam aus Kosten- und Gewichtsgründen nicht in Frage. Allerdings entdeckten wir auf der Suche nach bereits vorhandenen, ähnlichen Gegenständen, am Knickgelenk von Omnibussen große formale Gemeinsamkeiten mit meinem Modell. Ich zog eine Umnutzung in Betracht. Jedoch hätte der Busbalgen trotz seiner Ähnlichkeit im Aussehen gänzlich andere Eigenschaften als meine Papierzieharmonika. Dadurch wurde mir klar, wodurch mein Modell seine gewünschte Funktionalität erreicht.

Die Mantelfläche meines Papierquaders begrenzt die Füllung an allen Seiten. Deshalb entweicht ein parzieller Druck auf die Deckfläche nicht seitlich sondern läßt diese an den unbelasteten Stellen emporsteigen. Gleichzeitig wird diese Auf- und Abwärtsbewegung vom Auseinander- und Zusammengehen der Falten unterstützt. Bei der Umsetzung in Stoff war es demzufolge erforderlich die Seitenflächen anderweitig am Ausbeulen zu hindern, da ein Stoff die notwendige Stabilität nicht einfach durch Faltung erreicht. Deshalb spannte ich Seile zwischen die jeweils gegenüberliegenden Seitenflächen. Um an der Faltenstruktur festzuhalten, nähte ich Stoffstreifen ein, die die Zugkraft der einzelnen Stricke auf eine gleichmäßige Bruchkante verteilen.

Bei einer Besprechung mit Martin Kuban entfernten wir uns immer mehr von den technischen Details und spielten verschiedene Bilder durch, die von einem Sitzmöbel transportiert werden könnten. Dabei kam ich zu dem Schluss, daß eine Knopfstruktur durchaus geeignet wäre, Erinnerungen an altbekannte Sofas zu wecken. In unserer äußerst schnelllebigen Zeit kann durch solch ein Festhalten an tradierter Formensprache durchaus ein Ruhepunkt geschaffen werden. Natürlich könnte mein Blob Sofa? ohnehin nur schwerlich einen anderen Namen tragen, aber ich muss zugeben, dass mich dieser hübsche »cartoon« bei der Namensfindung maßgeblich beeinflusst hat. Hier bezieht sich Garry Larson zwar auf ein Gruselmonster aus der Filmwelt Hollywoods, mit dem mein Sofa nur zufällig die Farbe gemeinsam hat, aber trotzdem fand ich es faszinierend zu sehen, wie sich auch in ganz anderen Schaffensgebieten die gleichen Motive zusammenfinden.

In meinem Fall bezieht sich das Wort »blob« auf die Methode des »blob-sculpturing«, die vor allem von Greg Lynn erforscht wurde. Bei dieser Verfahrensweise entsteht die Form eines Gegenstand ausschließlich durch ganz unkontrollierte Umwelteinflüsse. Im Falle meines Blob sind das die Körperform und -haltung des sich setzenden Menschen. Bei einer städtischen Wiese zum Beispiel wäre das Begehen ein ähnlich unkontrollierbarer aber dennoch äußerst determinierter Eingriff in die formale Ausbildung einer Wiesenfläche. Die entstehenden Trampelpfade entsprechen in Richtung und Breite den konkreten Anforderung an die Wiese als Verkehrsfläche. Wenn man dabei bedenkt, dass die städtischen Wiesen ja als Freifläche ins Wegesystem hineingeplant werden, wird diese Verkehrsplanung von Trampelpfaden irgendwie ad absurdum geführt. Zugegebenermaßen ist der Respekt vor einer geplanten Grünfläche hierzulande sehr hoch, aber in Russland z. B. erfreut sich das »blob-sculpturing« von Rasenflächen einer großen Beliebtheit. Und damit zurück zu meinem Sitzmöbel.

Dieses erste Stoffmodell hatte den entscheidenten Nachteil, dass es dem Aufstehenden keinerlei Abstützmöglichkeiten bieten konnte. Egal wie und wo man seine Hände zu Hilfe nehmen wollte, verschwanden diese regelrecht im Sitzmöbel. Ähnlich dem Schneeschuhprinzip wollte ich den »Händedruck« auf eine große Fläche verteilen indem ich die Liege- bzw. Sitzfläche mit einer festen und wieder gepolsterten Auflage versehe. Diese hätte dann in Längsrichtung geknickt ein Sofa und quer eine Chaise Longue ergeben.

Zwar ermöglicht die bewegliche Kugelmasse jede Art von Sitzflächen- und Lehnenneigung und somit auch eine ebene Liegefläche, jedoch konnte ich damit noch nicht zufrieden sein. Für mich bedeudete diese Auflage mit ihren wenigen fest definierten Knickstellen eine unnötige Erstarrung. So werden alle Sitzer in die gleiche Position gezwungen und in eine Richtung gelenkt, wie es ja leider bei den herkömmlichen Sofas bereits der Fall ist.

Hier gebe ich als Gestaltender »nur« den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Vielfalt der möglichen Formen erstreckt. So entsteht zum Beispiel durch die eventuell etwas unglückliche Wahl eines recht dicken, lilanen Stoffes stets ein ziemlich grober Faltenwurf und die Farbe ansich bleibt natürlich immer gleich. Die oben gezeigte Reihe von »Sitzeindrücken« entstand durch Hinsetzen von einer, zwei, drei bzw. vier Personen. Am nebenstehenden Bild kann man sehr gut sehen, wie die durch vier Sitzende entstandene Form in außergewöhnlicher Weise von zwei Liegenden benutzt wird.

Literatur


Hans-Dieter Kempf: Jetzt sitzen sie richtig. Reinbeck: Rowohlt Taschenbuchverlag, 1997.
Gary Larson: The Far Side Gallery 5. Farworks 1995
Curt Marasotti: Liebesstellungs Atlas für zu Hause. Band 2. Röthenbach: Odörfer Werbe- u. Verlags-GmbH, 1988.
Kölner-Express vom 18.08.1999

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